Hamburg // Grillparzerstraße
Hamburg // Grillparzerstraße
Hamburg // Bahrenfeld // Dank an Claus Hessling
Dank an Alexandra S.
Berlin
Wenn ein Mann mit seinem Pony U-Bahn fährt, is dit Berlin, wa. Oder wenn ein Mann nackt über den Alex läuft. Und wenn ein Mann an einem Sonntag in Friedrichshain Pfeil und Bogen verliert, dann is dit wohl auch Berlin.
An diesem Sonntag verkaufte Felix, 34, seinen Trödel auf einem Flohmarkt, sechs Stunden stand er auf dem RAW-Gelände in Friedrichshain, auf 3000 Quadratmetern reiht sich hier Thüringer-Rostbratwurst-Stand an Globus an Silberbesteck an Pelzmantel an Comic an Schallplatte.
Am Ende war er ganz zufrieden mit sich und gönnte sich ein Bier. Und noch eins.
Noch zufriedener, ja, geradezu selig war Felix, als er an einem Stand Kurzbogen, Köcher und Holzpfeile entdeckte. So, mit Leder überzogen, hätte dieses Ensemble auch in Herr der Ringe mitspielen können.
Felix, der eigentlich anders heißt, übt schon eine Weile, mit Pfeil und Bogen zu schießen, draußen in Brandenburg gehört einer Freundin ein Garten. Manchmal stellt er sich dort eine selbst gebastelte Papp-Zielscheibe auf, draußen auf dem Feld, wo er weit blicken kann, um niemanden versehentlich zu treffen. Er muss halt noch trainieren. Gerade sein Langbogen, fast so groß wie er, sei sehr schwer zu spannen, sagt Felix. Einmal habe er sich dabei schon böse am Finger verletzt.
90 Euro sollten Kurzbogen, Köcher und Pfeile kosten, mehr, als er an diesem Tag eingenommen hatte. „Heftig teuer für Flohmarktverhältnisse“, dachte Felix. Egal. Darauf ein Bier.
Am Ende des Tages verstaute er seinen Trödel, den er nicht losgeworden war, in seinem Fahrradanhänger. Obendrauf den Kurzbogen. Glaubte er. Er habe zu diesem Zeitpunkt schon ein paar Bierchen getrunken, sagt er. Mehr oder weniger ein bisschen angetrunken oder besoffen sei er gewesen, jedenfalls, sagt er, mit den Sinnen schon woanders.
Als er zu Hause ankam, war der Bogen weg und Felix traurig.
Zweimal sei er an diesem Abend die Strecke mit dem Rad noch mal abgefahren. Vergebens. Am nächsten Tag schrieb er deswegen einen Zettel, kopierte ihn und hängte ihn an der Strecke zehnmal auf:
„Habe gestern an einem Sonntag meinen Pfeil und Bogen verloren. Bitte melden, Finderlohn. Finderlohn!!!“
Lange hört er nichts, dann kam Wochen später eine SMS: „Ich habe deinen Pfeil gefunden. In meiner Katze“, schrieb eine Frau. Felix erschrak: Ach du Scheiße. Sollte er etwa draußen auf der Wiese, in Brandenburg, eine Katze getroffen haben? Aber er konnte doch auf dem Feld 30 Meter weit schauen. Da war nichts gewesen. Er passte doch auf. Oder?
Sicherheitshalber zählte er seine Pfeile. Das schrieb Felix der Frau: Er habe noch alle beisammen. Sein Pfeil könne gar nicht in der Katze stecken. „Ich weiß genau, dass Sie es waren“, antwortete sie. Später fragte er sich, woher die Frau überhaupt seine Nummer hatte. Da fiel ihm der Zettel ein.
Männer, die mit Pfeilen auf Katzen schießen, dit is auch Berlin, wa. Und Felix soll es gewesen sein. Deswegen will er jetzt auch keine Zettel mehr aufhängen, jedenfalls keine, auf denen er nach Pfeil und Bogen sucht. Wer weiß, was ihm noch alles angehängt wird. Hier in Berlin.
Vor mehr als drei Jahren hing an dieser Hamburger Ampel der Zettel von Jonas; er suchte seine „hessische Perle“. Im Herbst 2016 ist bei Piper das Buch „Herz verloren – Hund gefunden“ zum Blog erschienen – mit einigen alten, aber auch sehr vielen bisher unveröffentlichten Zetteln und ihren Geschichten erschienen. Viel Spaß beim Schmökern wünscht: Zettelgold.
Hamburg
Zwischen „Barhocker zu verkaufen“ und „Wohnung gesucht“ tauchen sie plötzlich auf, die Engel. Wer schnell, schnell seinen Einkauf vom Band nimmt und zum nächsten Punkt auf seiner TodoListe hetzt, der sieht sie nicht. Der hört nicht, was sie zu sagen haben, dabei können sie doch Leben verändern.
So verspricht es Cornelia auf dem Zettel, den sie ans Schwarze Brett vor dem Supermarkt gehängt hat. Hier im Hamburger Schanzenviertel, wo sich viele vegan ernähren und Yoga machen, um Körper, Geist und Seele zum Klingen zu bringen. Hier, wo sich viele junge Menschen aufhalten, die gerade noch im Studium Credit Points gezählt haben und schon jetzt dem ersten Burnout entgegenrennen.
Da fängt man schon mal an zu denken: Was wird aus mir, und wann werde ich es? Was will ich überhaupt vom Leben?
„Engelberatung“ hat Cornelia auf ihren Zettel geschrieben. Und: „Mit meiner Intuition helfe ich dir, Klarheit in dein Leben zu bringen, und versuche, dir den richtigen Weg zu zeigen! Mit meiner ‚Gabe’ sehe ich die Themen, die dich blockieren, um glücklich zu sein.“
Cornelia heißt eigentlich anders, sie ist eine freundliche Frau um die 40, sie spricht mit spanischem Akzent, ursprünglich kommt sie aus Südamerika. Kunden und Engel begrüßt sie in ihrer Wohnung. „Schön, dass du da bist“, sagt sie.
Ob sie das auch sagen würde, wenn sie wüsste, dass man gar nicht glaubt? An Engel, Feen und Kartenlesen? Dass man einfach nur wissen will, wie das so ist, mit Wesen zu sprechen, die uns angeblich umgeben. Dass man erfahren möchte, ob Cornelia sich bewusst ist, wie sehr sie mit ihren Engeln anderen Menschen schaden kann?
Denn Cornelia ist nicht die Einzige, die an so eine Gabe glaubt:
Zwischen 10.000 und 20.000 Menschen bieten esoterische und alternative Lebenshilfe in Deutschland an, schätzt der Verein SektenInfo NRW, genaue Zahlen gibt es nicht. Zum Vergleich: Rund 11.000 Psychologen und Psychiater sind derzeit bei der Ärztekammer registriert.
Während die großen Kirchen jährlich Mitglieder verlieren, buchen sinnsuchende Menschen Rebirthing-Kurse, sie schlucken Bachblüten, lassen sich von Edelsteinen therapieren, sie meditieren, brummen, summen, atmen, lachen, schreien, tanzen so lange, bis sich alles dreht und sie ganz eins sind mit sich und dieser verrückten Welt. Manche Gurus geben Drogen, das geht schneller.
Nicht jedes Angebot in der Esoterik muss zwangsläufig schaden, auch die Schulmedizin kapituliert vor manchen Leiden, größeren wie kleineren. Immer wieder fehlt Ärzten Zeit oder Empathie oder beides, da hilft es mitunter schon, wenn ein Heilpraktiker einfach mal zuhört. Auch Yoga und Placebos tun vielen gut.
Krebs und Aids verschwinden so nicht, Bronchitis und Mittelohrentzündung auch nicht.
Sogenannte Reinkarnationstherapien holen manchmal längst gut Verdrängtes hervor und können psychisch kranke Menschen retraumatisieren. Engelberatung kann schlimmstenfalls zu Wahnvorstellungen führen, mancher traut sich irgendwann keine eigene Entscheidung mehr zu, sondern fragt immer sein Medium – und zahlt für jede Antwort. 1,50 pro Minute, 90 Euro die Stunde verlangen viele. Klingt nach wenig und kann sich doch schnell summieren auf mehrere Tausend Euro. Cornelia nimmt nur 30 Euro. Sie sei noch in der Ausbildung, sagt sie.
„Warum bist du so interessiert?“
„Ich bin einfach neugierig. Ich probiere gern Dinge aus.“
„Was erwartest du von mir?“
„Ein bisschen reden.“
„Gerne. Ich habe gerade gebetet, für mich ist Gott sehr wichtig. Wir sind ja alle eins, das weißt du ja wahrscheinlich. Hast du dich ein bisschen mit dem Prozess beschäftigt, oder weißt du gar nichts?“
„Nee, also ich war auf einer katholischen Schule. Von daher habe ich ein bisschen Background.“
„Ich bin auch katholisch. Früher dachte ich, dass Gott bestraft, dabei ist er ganz liebevoll.“ Cornelia hat auf ihr Sofa im Wohnzimmer gebeten, auf dem Tisch steht ein Engel, zwei Zentimeter groß, höchstens, daneben liegt ein Buch, es geht um Engel, natürlich. Immerhin brennen weder Kerzen noch Räucherstäbchen. Draußen scheint die Sonne, drinnen ist es kalt.
Cornelia spricht sanft und langsam, mit warmer Stimme. Eine Frau, die genau zuhört und beobachtet, die spürt, wenn sie richtig liegt mit dem, was sie sagt und sieht. Als emotionale Intelligenz bezeichnen das manche. Cornelia nennt es Gabe. Sie spüre die Seelen und Wesen, die kommen, um die Erde zu verbessern. Manchmal schicken diese Wesen ihr Bilder und Wortfetzen. „Telepathisch“, sagt Cornelia. Das alles setze sie zusammen. „Es ist ein bisschen verrückt“, sagt sie. „Aber hellsehen kann ich nicht.“
Cornelia beantwortet die Fragen ihrer Kunden, meist sind es Frauen.
Anhand der Fragen lässt sich schon erahnen, worum es geht: Betrügt mich mein Mann? Wann werde ich nicht mehr allein sein? Werde ich einen neuen Job finden?
Meist erzählen die Kunden schon von sich aus so viel, dass Wahrsager, Hellseher und Menschen wie Cornelia sehr leicht heraushören können, wer ihnen gegenübersitzt und was ihn bewegt. Sie antworten meist erst ganz allgemein auf Fragen und schauen, wie ihr Gegenüber reagiert, Cold Reading nennt sich das. Cornelia hat es heute schwer: Ihr Gegenüber sagt fast nichts.
„Mach bitte die Augen zu und öffne dich für mich. Wir haben Chakren. Kennst du das?“
„Nee.“
„Egal. Konzentriere dich jetzt, und öffne dich. Wie eine Blume. Schau in den Spiegel.“
30 Sekunden später:
„Ich nehme wahr, dass du eigentlich gar nicht wissen willst, wo du ursprünglich herkommst. Wie siehst du dich? Kannst du dich im Spiegel sehen?“
„Ich habe die Augen zu.“
„Hast du die Augen zu, wenn du dich anguckst?“
„Ja.“
„Siehst du.“
30 Sekunden später:
„Es fühlt sich sehr leicht an. Auf jeden Fall warst du ein Wesen. Sehr leicht. Du fliegst, du hattest Flügel. Es klingt verrückt, aber so sehe ich dich. Du kommst aus einer magischen Welt. Du warst sehr glücklich. Ich bekomme Gänsehaut.“
„Was bedeutet das für mich?“
„Du kannst besser verstehen, warum du dich irgendwo wohlfühlst. Du solltest auch bei der Ernährung aufpassen. Alles, was von der Erde kommt, tut dir gut. Und Champignons. Ohne Witz, das haben sie mir gesagt.“
„Welchen Ort siehst du?“
„Natur. Magisch.“
„Siehst du andere Wesen?“
„Einen Moment. Ich gucke.“
Als Cornelia sich von ihrem Mann getrennt hatte, da bezahlte sie selbst ein Medium.
Sie habe eine Rückführung machen wollen, um zu sehen, wer sie früher gewesen sei, sagt Cornelia heute. Dieses Medium, wie so oft eine Frau, habe ihre Gabe erkannt. Sie habe ihr gesagt, dass sie diese Gabe annehmen solle, weil sie damit vielen Menschen helfen könne. „In dieser Nacht habe ich einen Engel gesehen“, sagt Cornelia.
Wenn sie das so sagt, so fromm und gütig, dann tut sie einem fast leid. Auch heute noch geht Cornelia zu einer Lehrerin, von der sie lernt, gegen Geld.
Jeder kann glauben, was er will, so steht es im Grundgesetz. Die Glaubensfreiheit hört aber da auf, wo jemand gegen Gesetze verstößt, indem er zum Beispiel Heilmittel verschreibt, obwohl ihm die Zulassung dafür fehlt. Oder wenn jemand in Gefahr gerät, weil er nicht mehr zum Arzt geht, die Engel wollten es schließlich so.
„Sagst du Menschen, die zu dir kommen, auch, was sie tun sollen?“
„Wenn ich fühle, dass etwas nicht gut ist, dann bin ich ganz ehrlich. Wenn ich das Gefühl habe, ein Mann geht fremd, dann sage ich das auch. Das geht gar nicht.“
„Das ist eine große Verantwortung.“
„Nein, ich sage das ja nur. Ich werde niemals lügen. Jeder übernimmt selbst für sein Handeln die Verantwortung. Schon in dem Moment, wo du zu mir gekommen bist. Das ist deine Entscheidung und deine Verantwortung.“
Cornelia hatte eine Zeit lang keinen Job, seit ein paar Monaten arbeitet sie wieder, für die Engel hat sie deswegen nur noch wenig Zeit. „Aber sie sagen, ich muss nur noch ein paar Jahre durchhalten, dann werde ich nur noch Engelberatung machen. Darauf freue ich mich.“
Vielleicht hängen dann bald noch mehr Zettel in Hamburgs Supermärkten. Bleibt nur zu hoffen, dass möglichst viele Menschen schnell, schnell daran vorbeilaufen.
Dies ist ein Auszug aus dem Buch „Herz verloren – Hund gefunden. Zettel und ihre Geschichten„, erschienen am 1. September im Piper Verlag.